Google offline: 4 Minuten lassen Internet-Traffic angeblich um 40% sinken?
Die Nachrichtenredaktionen und News-Blogs drehen durch – das gab es noch nie! Am gestrigen Samstag Abend um 23:51 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) bzw. 21:51 UTC gab es in den Rechenzentren von Google eine heftige Störung. Nach Angaben des Unternehmens konnten in dieser Zeit zwischen 50 % und 70% aller Anfragen nicht bearbeitet werden.
Google sparsam mit Informationen
Diese Information findet man jedoch nur im „Kleingedruckten“ in einem Nebensatz zu einer Statusmeldung zu GMail – der Maildienst war kurz vor der großen Störung sogar ganze elf Minuten beeinträchtigt. Diese Störung ist Google mehr Information wert, als der sogenannte Komplettausfall:
„Between 15:51 and 15:52 PDT, 50% to 70% of requests to Google received errors; service was mostly restored one minute later, and entirely restored after 4 minutes.“, Quelle: Google
Auch in Googles Apps Status Dashboard finden sich nur Hinweise auf Störungen zu verschiedenen Apps, die bemerkenswerterweise praktisch alle kurz vor dem Totalausfall lagen.
Schlagzeile: Internet-Traffic bricht ein, Twitter-Suche explodiert
GoSquared Engeneering berichtet, dass der globale Internet-Traffic in dieser Zeit um 40% eingebrochen ist. Zeitgleich berichtet der Twitter-Analyst Topsy, dass in dieser Zeit die Zahl der Twitter-Suchen explodiert ist.
Aber was ist denn wirklich dran: GoSquared ist ein Dienstleister, der seinen Kunden Traffic-Messungen und Statistiken zu den Kundenwebseiten anbietet. Die in den News-Blogs vielzitierte Traffic-Kurve zeigt nicht den absoluten, globalen Traffic – für eine solche Messung müsste man wahrscheinlich die Zahlen von Betreibern verschiedener Backbones zusammenführen. Vielmehr zeigt die Kurve von GoSquared die Trafficsumme auf den betreuten Kundenwebseiten. Ob das in irgendeiner Form repräsentativ ist, lässt sich so nicht sagen. Man kennt weder die objektive Reichweite von GoSquared noch die thematische und geographische Verteilung der Kunden. Dennoch haben die Marketing-Leute von GoSquared es geschafft, eine hübsche Fieberkurve zu verteilen, die vielfach ungefragt verbreitet wurde.
Schlagzeile: 4 Minuten Ausfall kosten Google 545.000 Dollar
Blogger und Newsportale berichten, der Ausfall würde den Konzern rund 545.000 US-Dollar kosten. Gestützt auf einen Tweet von Sam Mazaheri wird diese Summe gerne berichtet. Der Blogger und ehemalige Google Mitarbeiter hatte gestützt auf einen Bericht von Venture Beat vorgerechnet, dass der Konzern pro Minute etwa 108.000 Dollar verdient.
Diese Zahlen dürfen aber stark angezeifelt werden. Zum einen verdient der Konzern an verschiedenen Quellen mit – etwa App-Verkäufe für die Android-Plattform dürften gar nicht betroffen sein. Wer seine App nicht sofort bekommen hat, wird sie halt fünf Minuten später gekauft haben – kein Verlust. Ebenso berichtet GoSquared auch, dass der Traffic nach Wiederherstellung des Service durch Google kurzzeitig stark über das Normalmaß angestiegen sei – also dürften hier die Werbeanzeigen (und damit die Google-Einnahmen) wieder zumindest teilweise kompensiert worden sein.
Diese und ähnliche Beispiele lassen sich für praktisch alle Bereiche des Konzerns finden. Daher dürfte der Verlust wohl mehr auf das beschädigte Image begrenzt bleiben.
Kommentar: Was war denn wirklich?
Offensichtlich haben die Google-Server für rund vier Minuten nicht oder nur selten reagiert – Google spricht von 50-70% Ausfall, nicht von einem Totalausfall. Mehr Informationen gibt das Unternehmen bisher nicht.
Auf der Statistikseite des DE-CIX, dem deutschen Traffic-Austauschpunkt schlechthin, kann man keinen Knick kurz vor Mitternacht erkennen – also kann der Einbruch gar nicht so heftig gewesen sein. Schließlich ist Google doch in Deutschland Marktführer – wenn in Amerika schon 40% des Internets zusammenbrechen, müsste es doch hier dann schon 100% sein. Mindestens.
Dennoch stürzen sich die News-Redaktionen auf die vermeintlichen Fakten und verbreiten diese. Die oben angeführten Schlagzeilen werden ungefiltert als Fakten verbreitet oder sogar ausgebaut – aus den vier Minuten 50-70% werden mal locker fünf Minuten 100% Ausfall, andere rechnen Google gleich 40% des Datenverkehrs im Internet insgesamt zu – also Google als Lieferant von 40% aller im Internet übertragenen Daten usw. Der Ausfall wurde schon mit den autofreien Sonntagen aus den 1970er Jahren verglichen.
„Wenn Google ausfällt, gehen im Internet die Lichter aus,“ Quelle: GoogleWatchBlog
Dieses Zitat mag vielleicht für eine Vier-Minuten-Schrecksekunde zutreffen. Aber bei einem längeren Ausfall wäre wahrscheinlich sogar hier, wo Google den Suchmaschinenmarkt dominiert, den meisten Usern eingefallen, doch mal die Bing-Suche zu nutzen. Die vier Minuten haben wahrscheinlich nicht dazu gereicht – hier haben die meisten wohl eher versucht, den Fehler selbst zu beheben („Mein Internet ist kaputt“).
Sommerloch? Sommerloch!
Bemerkenswert ist der Herdentrieb der Redaktionen und Blogs – auf der Jagd nach den neuesten Erkenntnissen wird mal tapfer abgeschrieben und Unsinn verbreitet. Lediglich im Bild-Blog findet sich ein Kollege, der die Angaben ähnlich kritisch hinterfragt. Dieser hat sogar in der Statistik des De-CIX eine winzige Delle entdeckt.
Unter dem Strich bleibt der Eindruck von viel Lärm um nichts. Das Ganze erinnert an die Hysterie um die DDOS-Angriffe auf Spamhaus.org von Ende März 2013 – hier war auch plötzlich der weltweite Datenverkehr in Gefahr, naja, angeblich.
Kategorie: Internet, Nachrichten